Inakzeptabel – Unacceptable

Beispiele Narzisstischer Manipulations- und Argumentationsmethoden – Examples of Narcissistic Manipulation and Argumentation

Foto: ATP

Nick Kyrgios wird nach seinem Match gegen Stefanos Tsitsipas persönlich und übernimmt keine Verantwortung – Nick Kyrgios gets personal after his match against Stefanos Tsitsipas and does not take any responsibility

(Meinung Britta Heusinger von Waldegg)

Selbst McEnroe schwärmt und verklärt

Da auf youtube, einigen privaten Sportkanälen und in Fachkreisen (Rothschädl. tennisnet.com, 16.7.22) zunehmend Stimmen zu hören sind, die nicht davor zurückschrecken, das manipulative Verhalten von Nick Kyrgios zu romantisieren, sollte man es vielleicht einmal etwas genauer unter die Lupe nehmen.

Nicht vergleichbar

Oft wird er mit John McEnroe verglichen, der in den frühen 80igern gern mit cholerischen Anfällen operierte, die unbestritten, weil geistreich, ihren Unterhaltungswert hatten. Sie entwickelten sich zu seinem Alleinstellungsmerkmal. Allerdings ging es in 99% der Situationen um die Sache, einen aus-gegebenen eigenen oder einen in-gegebenen Ball des Gegners. Auch wurde er einmal wegen einer Beleidigung disqualifiziert, aber eben wegen einer Beleidigung, die als Konsequenz seine Disqualifikation zur Folge hatte. Und nicht zu vergessen, McEnroe war eine Autorität auf dem Platz, ist es noch immer, mit sieben Major Titeln in Einzelwettbewerben. Das hat etwas zu bedeuten. Auch wenn es ihn nicht automatisch zu mangelnder Selbstkontrolle hätte autorisieren dürfen.

Der Unterschied zu Zverev

Das Bild von Sascha Zverevs Entgleisung in Acapulco wird wohl für immer und für alle Zeiten im Internet seine Runden drehen. Ein eklatanter Kontrollverlust nach einigen Nächten höchster körperlicher und mentaler Anstrengung, im Einzel und parallelem Einsatz im Doppel, zusammen mit Marcelo Melo. Und es gab vermutlich noch einen Grund, der der Öffentlichkeit bewusst enthalten wird und ihr auch enthalten werden bleibt. Er ist gesundheitlicher Natur. (Anmerkung: Am 6. 8. 2022 hat Zverev, im Rahmen der Gründung seiner Alexander Zverev Foundation in Hamburg, seine Diabetes Erkrankung öffentlich gemacht.)

Alexander Zverev zeigte sich in zahlreichen Interviews danach verzweifelt und demütig, – eine Haltung, zu der er in den letzten beiden Jahren vermehrt neigte, nachdem ihn vorher seine Erfolge leicht überheblich hatten werden lassen. Zur Erinnerung: Die Party- Zeiten inmitten von Covid, – an Djokovics Seite.

Zverevs Reife-Phasen bekommt man als interessierter Tennis-Amateur detailliert mit, ob man will oder nicht und nein, Alexander Zverev ist kein Narzisst. Narzissten sind zu kritischer Selbstreflexion nicht imstande.

Da fehlt noch Daniil Medvedev

Auch dessen Eskapaden, wie die von Kyrgios, sind nicht hinnehmbar. Seine giftigen Provokationen und Beschimpfungen, hochintelligent wie er ist, treiben seinen sympathischen Coach Gilles Cervara regelmäßig dazu, fluchtartig die Arena zu verlassen. Aber auch Medvedev bedauert normalerweise sein Verhalten im Rückblick und behauptet, sein innerer Zirkel könne damit umgehen. Wie der Zirkel der ATP- Chair Umpires in Zukunft damit umgehen möchte, darauf darf man gespannt sein.

Zurück zu Kyrgios.

Wimbledon Dritte Runde Kyrgios vs Tsitsipas

Es traf mit Stefanos einen Spieler, der selbst gern ‚the waters‘ seiner Gegnerschaft getestet hatte, beispielsweise mit seinen überlangen Toiletten-Pausen. Zu denen er, wie selbstverständlich, sein Handy mitnahm, um von Apostolos ein paar väterliche Coaching Tipps abzurufen. Das Ganze zog kontroverse Diskussionen nach sich. Die ATP änderte daraufhin ihre Regularien.

Stefanos Tsitsipas war im Londoner Rasenturnier für Kyrgios, der sich, für ihn vollkommen untypisch, etwas vorgenommen hatte, ein potenzieller Spielverderber. Nick Kyrgios war nämlich auf einer Mission. Sein Grand Slam Doppel-Titel in Australien, Anfang des Jahres, hatte ihn auf den Geschmack gebracht. Und da er sich, was Rasen betrifft, für einen der, wenn nicht den Besten der Welt hält, rechnete er sich ernsthafte Chancen aus.

Leider war das Match nicht schön. Es war deshalb nicht schön, weil es mehr mit einer psychologischen Fallstudie in Sachen Maligner Narzissmus als mit einem Duell zweier Weltklasse Tennisspieler zu tun hatte.

Wimbledon 2022 – Dritte Runde – Das Match

Es gab keinen Moment, in dem NK nicht mit sich selbst, mit dem Publikum, mit seiner Box oder mit dem Umpire redete, vor und nach den Ralleys. Er sprach buchstäblich ohne Unterbrechung, was natürlich eine erhebliche Störung der Konzentration des Gegners und des Stuhlschiedsrichters bedeuten sollte.

Dieses manipulative Mittel setzte NK bewusst ein, da es nicht offiziell bestraft werden kann und sehr effektiv ist. Genau genommen handelte es sich sogar um zwei manipulative Methoden gleichzeitig: Ablenkung und Provokation.

Das kritische Londoner Publikum war zu dem Zeitpunkt noch von Kyrgios‘ unkonventionellem Verhalten überrascht, sogar überrumpelt, denn es bedeutete noch einmal eine deutliche Steigerung zu seinen sonstigen Auffälligeiten. Während eines späteren Matches wurde NK von einem Zuschauer laut darauf hingewiesen, er solle endlich aufhören zu lamentieren.

Den ersten Satz verlor NK gegen ST. Im Verlauf des Matches hielt er den deutschen Umpire erwartungsgemäß für inkompetent, – eine Degradierung und eine Anmaßung. Dieser sollte ST gefälligst disqualifizieren, weil der einen Ball ins Publikum geschlagen hatte, was viele Spieler machen und was nicht problematisch ist. Kyrgios beschuldigte Tsitsipas jedoch eines gezielten Schlages.

Diese Anmaßung zusammen mit seiner falschen Behauptung zogen sich durch das gesamte Match, stellten Tsitsipas auf die Probe, der daraufhin reagierte und dann tatsächlich mehrfach Kyrgios gezielt mit dem Ball traf. Er konnte mit den Provokationen nicht länger umgehen, wollte Kyrgios stoppen, kämpfte mit seinen Nerven und verlor schließlich das Match. Kyrgios hatte erreicht was er wollte.

Dann kamen die beiden bemerkenswerten Post-Match Interviews.

„He just always gets away with it“

„It’s constant bullying, that’s what he does. He bullies his opponents. He was probably bullied at school himself. You don’t know what’s behind. I don’t like bullies. I don’t like people who put other people down. He has some good traits in his character as well, but he also has a very evil side to him which, if it’s exposed, it can really do a lot of harm and bad to the people around him …“ Zitat: Stefanos Tsitsipas

Nick Kyrgiostwisted truth

Beispiele narzisstischer Argumentationstechniken

Das inhaltlich brisante Post-Match Interview mit Stefanos Tsitsipas fand leider in der Öffentlichkeit kaum Beachtung. Er sprach das ernste Thema ‚Bullying‘ an und dass die Spieler sich zusammen setzen und darüber sprechen müssten, bevor sie Kyrgios in das Gespräch mit einbeziehen sollten.

Tsitsipas, bekannt für sein ‚deep thinking‘ und sein Analysevermögen, argumentierte ruhig und sachlich und hat mit seiner Bewertung vollkommen Recht. Man sieht ihm seine Enttäuschung an. Und es ist nicht neu, dass punktuell anvisierte Bullying-Opfer tatsächlich oft die einzigen sind, die die an sie gerichtete Intrige spüren.

Sein Interview ist wegen des Hypes um Kyrgios‘ bekannte Talentverschwendung untergegangen. Diese, findet die Tenniswelt, sei die eigentliche Sensation. Es ist höchst bedauerlich, denn die stille Akzeptanz, die fehlende Wehrhaftigkeit gegen Kyrgios‘ toxisches Benehmen, könnte den malignen Narzissmus im Profi-Tennis schleichend etablieren. Die meisten finden NK irgendwie witzig, originell, erfrischend. Aber Stefanos Tsitsipas ist vor den Augen der Weltöffentlichkeit von Kyrgios demontiert und emotional missbraucht worden und keiner spricht darüber. Es spricht niemand darüber, weil den Verantwortlichen das Bewusstsein und deshalb das Vokabular für diese Toxizität fehlt. Ein Skandal.

Die Tennis-Öffentlichkeit freut sich über den unkonventionellen Australier und vergisst dabei, dass er brutal und auf Kosten anderer agiert. Stefanos wurde nicht nur während des gesamten Matches, sondern auch im Interview mit Kyrgios desavouiert, vorgeführt und sein Spiel und er selbst persönlich herabgesetzt. Es ist in der Szene eine Novum, eine massive Grenzüberschreitung, die Beschädigung eines Konkurrenten, etwas in der Form nie Dagewesenes. Deshalb gab es auch keine Reaktionen auf ST’s Interview. Man konnte da etwas nicht einordnen.

Jeder, der dieses destruktive Verhalten für akzeptabel hält und damit die offensichtlich an eine bestimmte Person gerichteten Beleidigungen akzeptiert, macht sich zum Komplizen.

Wenn Toxizität nicht bekämpft wird, wenn einem solchen Spieler wie NK nicht frühzeitig Grenzen aufgezeigt werden, gehört möglicherweise diese Form der ‚psychologischen Kriegsführung‘ auf dem Profi-Tennisplatz bald zur Normalität.

Auszüge mit erklärendem Kommentar

Typische Kommunikationsmuster maligner Narzissten: Im Folgenden wird anhand von Zitaten aus dem Kyrgios-Interview die jeweilige Manipulations-Methode, also die Realitäts-Verzerrung zu seinen Gunsten, verdeutlicht. Typisch für malignes narzisstisches Verhalten ist auch eine inadäquate Körpersprache, wie beispielsweise an Stellen zu lachen, die nichts Amüsantes haben, – es geht dann um Häme und um Herabsetzung.

Empfehlenswert ist auch, sich Stefanos Tsitsipas‘ Post-Match Interview anzusehen. Er holt bei der Beantwortung der ihm gestellten Fragen nicht weit aus, bleibt prägnant, und stellt auch keine Gegenfragen, so wie Kyrgios sie einsetzt, um Zeit zu gewinnen und einzelne Journalisten zu verwirren.

00:40 – 1:54

NK: “ (lachend, an seiner cap herumfummelnd, sieht auf den Boden) … I don’t know what to say, I am not sure how I bullied him, he was the one hitting balls at me, I didn’t do anything, … what do you think? … I would be pretty upset if I lost to someone two weeks in a row as well. Maybe he should figure out how he could beat me a couple of times first.“ – denial (Abstreiten hier: Seiner Provokationen), blame shifting (Verantwortung auf die Zielperson schieben), distraction (Ablenkung), devaluation (Abwertung), minimizing (Herabsetzung)

3:45 – 5:02

Frage: „Generally players get not defaulted for hitting a ball into the crowd. Do you think, that should be?“

NK: “ (Gegenfrage) So you don’t think that hitting a spectator in the head warrants a default? … So I can just smack balls into the spectators and hit spectators and don’t get defaulted, is it that what you are saying? (Mehrere Gegenfragen) What do you think? … You obviously don’t agree with the rules, you think they should get defaulted then? (Journalistin gibt ihm endlich Recht) …“

false accusation/ assumption (falsche Beschuldigung/ Annahme), taking false accusation/ assumption as a fact (falsche Beschuldigung als Fakt einsetzen), creating confusion through permanent counter-questions (Konfusion kreieren durch ständige Gegenfragen), forcing agreement of journalist (Bestätigung erzwingen)

5:50 – 6:50

Frage: „… do you think you can win this tournament and if so aren’t you worried that all the ‚circus‘, the word that Stef used, could be like tiring at all for you in these matches?“

NK: „I feel great. The circus was all him today. I actually feel great like I feel great physically now … I just think he is making that match about me, like he’s got some serious issues, like I am good in the locker room, I got many friends like, I am actually one of the most liked, I let you know, I am set, he’s not liked let’s just put that there, anyway, no, I am good …“

– blame shifting (Verantwortung auf die Zielperson schieben), accusations (Verurteilungen), contempt (Verachtung), grandiosity (Grandiositätsgefühl)

6:51 – 7:35

Frage: “ … do you feel you both brush that off and be friends again in two days time?“

NK: „I don’t care, as I said, when I’m back home and you see my every day and who I’m competing with on the basketball court like these guys are dogs, the people that I’m playing at Wimbledon, they don’t, they’re not like … he’s that soft, like to come in here and say I bullied him, that’s just soft, that’s just we’re not cut from the same clothes, I go up against guys who like are true competitors. If he’s affected by that today that’s what’s holding him back. Someone can just do that and that’s going to throw him off his game like that … I just think it’s soft.“

– taking arguments off context (Argumentations aus dem Kontext nehmen), inadequate comparisons (inadäquate Vergleiche ziehen), minimizing (Herabsetzung), devaluation (Abwertung), degrading (Degradierung)

8:41 – 10:10

Frage: “ … he missed an easy shot and you said ‚good shot‘, I mean that is not too nice, you must admit … .“

NK: (Gegenfrage) „Am I trying to be nice?“

Frage: „If somebody would have done it to you, you wouldn’t have liked … „

NK: „But I most likely wouldn’t have come in here and said I got bullied, I said ’nice short‘, … now it’s getting out of hand (Ablenkung) … what was your first question?“

– counter-question (Gegenfragen), malice (Häme), distraction (Ablenkung)

11:30 – End of Press Conference

Frage: „… do you wish that he came up to the locker room, man to man …?“

NK: „He’s never doing that, I just don’t understand, I don’t know what I did today … I did nothing towards him, I don’t think I was aggressive towards him, I wasn’t hitting balls at his face, I had no anger towards Stef today … I don’t know where it’s coming from, to be honest, like I think he was angry because when he hit the ball out of the stadium it was directed at his box (triangulation), so obviously they had some friction, obviously when he starts losing and then losing to me again … he get angry … I looked people in the eye and say ‚well done today, you were the better man and he was not man enough to do that today … I’m not gonna confront anyone of anything, that’s not bullying, anyway … I don’t know why he’s so hurt.“

– denial of provocation (Abstreiten von Provokation), blame shifting (Verantwortung auf Zielperson schieben), triangulation (Triangulation: hier Einbeziehung der ST- Box), devaluation (Abwertung), malice (Häme)

„He just always gets away with it“

Sagt Tsitsipas.

Verantwortung übernimmt NK nicht. Und mit den Bußgeldern ist für ihn die Sache erledigt.

Es tut ihm nichts leid. Er „hat ja gar nichts gemacht“. Stefanos Tsitsipas ist derjenige, den niemand wirklich leiden kann, angeblich. Er selbst sei einer der Beliebtesten.

Realitätsverzerrung und fehlende Selbstreflexion können alarmierende Zeichen für eine ernstzunehmende psychische Disposition sein.

Bei narzisstischen Argumentationskonstrukten müssen die Empfänger der Informationen grundsätzlich jede Aussage auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen und neu bewerten.

Erst die Herstellung einer Pseudo-Realität, eines Narrativs, gibt einem skrupellosen Manipulator die Möglichkeit, seine Bedürfnisse ungehindert durchzusetzen, – in Familien, in Beziehungen, in Freundschaften, in Unternehmen und in allen anderen Systemen, – da bilden die des Profisports keine Ausnahme.

Hirigoyen, Marie-France. (2002). Die Masken der Niedertracht. Seelische Gewalt im Alltag und wie man sich dagegen wehren kann (18. Auflage). München: dtv.

Titel der französischen Originalausgabe: Le harcèlement moral. La violence perverse au quotidien.

http://narcsite.com

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