Es war der Moment als Du mir sagtest… (Leseprobe)

dass du die alte Kirsche fällen wolltest

Sicher, es gab im Laufe der Zeit viele ganz flüchtige aber auch eindrückliche Zeichen. Ich hatte sie wohl einfach weggeschoben und im wahrsten Sinne verdrängt auf meinem Weg in meine Wunschzukunft, von der ich annahm, sie sei deiner ganz ähnlich. Was nicht sein darf, das nicht sein kann. Und diese Praxis habe ich mir gegenüber stur durchgesetzt. Die Zeichen sollten sich in den gemeinsam verbrachten Jahren zu einer schlimmen Täuschung summieren, für die ich, mich selbst betreffend, die alleinige Verantwortung übernehme. Jedenfalls zum größten Teil.

Was hatte ich auch Regula nach Rat gefragt? Ausgerechnet sie. Das Verhältnis zu ihr war genauso eine Illusion. Selbst an dieser Stelle empfiehlt sich die sorgfältige Suche nach möglichen Motiven der jeweils anderen Seite.
‚Jeder hat eine zweite Chance verdient‘, hieß es.
‚Besonders, wenn er trotz allem vorzeigbar ist‘, dachte sie wohl nicht ganz uneigennützig, – denke ich heute. Und ich hatte bei ihr nie die geringste.
Vom ersten Tag an nicht. Das war nie ihr Plan.

Auch wenn ich über keinerlei Talent in Sachen mathematischer Abstraktionsfähigkeit verfüge, – eines weiß ich jetzt. Die Gesamtsituation war eine Beispielaufgabe für eine Gleichung mit zwei Unbekannten.

An jenem Tag lief ich, wie so oft, mit Gummistiefeln über das große Areal, was einmal unser Zuhause werden sollte. Dass es nicht voran ging, daran hatte ich mich schon gewöhnt. Aber dein Optimismus, an jedem neuen Morgen, war genauso ansteckend wie die Fülle neuer Ideen, die du hattest und die wir abends am Feuer mit schwerem Rotwein ausschmückten in allen Farben und gelacht haben wir dabei so sehr und alles war leicht, während Du mir eine Decke und noch eine Decke brachtest, damit ich nicht friere. Und du packtest mich darin ein mit deinen starken Armen in deiner ganz eigenen, entschlossenen Art, was mich jedes Mal nur noch mehr an uns glauben ließ. Wir machten alle Kerzen an, im designierten Kaminzimmer, und durch den noch rohen Backstein schimmerte der Raum in einem rostroten Ton.

Wir blickten die ganze Zeit ins Feuer, dessen Knistern ich heute noch höre und niemals vergessen werde. Ein abendliches Ritual, dieses große und warme Licht durch das rubinrote Weinglas, so archaisch, so symbolisch, dachte ich, – es beschrieb uns als kleine geschlossene, innige Gruppe gleichartig Fühlender in dieser kalten, kargen Gegend, deren noch kältere und noch kärgere Menschen sich mir nie erschlossen haben. So sehr ich mir auch Mühe gab, ich konnte sie nicht lesen. Aber wir hatten uns, dachte ich, und nichts könnte uns trennen, so stark waren wir zusammen. Dachte ich. Ich schwöre, ich habe an diesen besonderen Abenden Vollkommenheit gespürt.

‚Die Kirsche muss weg‘, sagtest Du an diesem Morgen plötzlich, als ich dir das Frühstück brachte. Ich war wie gelähmt.
‚Aber warum denn?‘
‚Sie macht zuviel Dreck.‘
‚Aber nein, das kannst du doch nicht machen. Dieser wunderbare alte Baum. Hast du also jetzt einfach so beschlossen‘, fragte ich aufgeregt, ‚das ist doch purer Aktionismus, meiner Meinung nach.‘
‚Die Fläche hier muss frei sein und nochmal, die Kirsche kommt weg‘, sagtest du mit Nachdruck, damit ich gar nicht erst anfing zu argumentieren.
‚Und da fragst Du mich gar nicht, wie ich das finde? Es ist doch unser gemeinsamer Traum, das alles hier. Bitte! Bitte nicht!‘
‚Ich werde heute mit den Ästen anfangen und morgen kommen die Beiden zum helfen. Die Wurzel wird problematisch, dafür brauchen wir den kleinen Deere‘, hörte ich dich noch während ich mich umdrehte und wie betäubt einfach losging.
Ich sah alles um mich herum nur noch verschwommen und es lief und ich lief mechanisch und stolperte einfach weiter und weiter tief in den Wald hinein. Stundenlang bis es dunkel wurde.

Ganz langsam fing ich an zu verstehen. So schwach mich diese Sätze von dir auch machten, umso klarer wurde mir von da an unsere Geschichte. All die diffusen und bis zu diesem Zeitpunkt für mich kaum zu verstehenden Gefühle, die ich manchmal hatte, fingen an, sich zu definieren. Es war dir einfach vollkommen egal, was mir etwas bedeutete. Es hat dich schlicht nicht interessiert.

6 Kommentare zu „Es war der Moment als Du mir sagtest… (Leseprobe)

  1. …Dieser Beitrag strahlt eine solche Ruhe aus, wo er doch so dramatisch endet…
    Es ist wohl besser sich von Menschen wie diese „Sie“ fernzuhalten.
    Wirklich schön wie Sie schreiben, Frau Heusinger von Waldegg! Ich denke an Sie.

    Charlotte

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    1. Liebe Charlotte,
      ich freue mich sehr, dass der Text Dir gefällt! Sehr! Du, die Du Dich auskennst mit Wort und Schrift und dann kannst Du auch noch wesentlich besser zwischen den Zeilen lesen, als manch‘ anderer. In dieser Art werde ich übrigens fortfahren. Es ging aber einfach nicht eher. Ich kam nicht heran, wenn Sie wissen, was ich meine, Frau Trautmann.
      Ganz liebe Grüße, BHvW

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  2. My dear friend Britta,
    Your account of the cherry tree is going under my skin. A very close friend living next to me on his boat with his partner is going through the same situation. I’m witnessing their dreams as they talk about what they will do next and there is no parity in their conversations, no agreements but order down decisions from the „chief“ to his „Indian“. In the past, I noticed how this trend of a male dominated society doesn’t ask their mate but makes his decision and then carries it out regardless of what the other thinks. True, there is only one captain aboard of a vessel, but s/he must come to agreements as to where to go, what to do and when.
    Unfortunately, that is not often the case. If the „chief“ wants to live according to his ideas, then, by all means, go ahead, but not if others are involved and have objections. We all must learn to coordinate our ideas and come to a point of mutual agreements. Only when dangerous ideas threaten the well-being of the crew and the vessel are at risk, the most qualified and reasonable idea should be followed without discussions.
    I believe that to be equality. Too often men persist on their superiority because they think a woman isn’t good or strong enough and they waltz all over them.
    When I’m looking at societies that suppress a woman’s equality, like in the Middle East women may not drive a car, I wonder what a man would do if he suffers a disabling injury and the only other person is a woman that could save his life. The problem, the way I see it, is a cultural stupidity of any form of ideology that renders women to be unequal and less capable than men. In case it was so, then it would be the stronger persons obligation to raise the weaker to a stronger level.
    That is my limited view on this. I loved your article, Britta.

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    1. My dear André, thank you for your comment and that you appreciate my text, thank you very much. It is the first time, that I touched this complex story, which is, as you say, only the top of the ‚Eisberg‘. Actually, this whole subject is not mainly about male dominance. Hope, you will read my book, when it will be finished. Or parts of it before it will be published.
      By the way, there is a hidden hint in the article about another important aspect, which still influences me…
      And: for me male dominance had never been of any relevance, when I grew up. I simply didn’t care. My father is an exceptionally emotional person. And I am more the alpha type of woman ; ). Maybe that’s why I could not classify early enough, what happened.
      I‘ ll go on with unwrapping the whole thing, carefully, thoroughly.
      Take care, so far.
      B.

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  3. Danke, liebe Magda. Es fühlt sich so an, als käme ich der Sache näher. Durch einen viel zu überladenen Terminkalender komme ich zur Zeit nur wenig dazu, zu schreiben. Vielleicht führt aber genau das zu einer Art Entwicklungsschub … Liebe Grüße, Britta

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  4. Liebe Britta, das geht unter die Haut…… So stark beschrieben, wie du bist. Dass Du stark bist, entdecktst du langsam, aber mit einer unbeirrbarer Entschlossenheit. Viel Glück bei allem, was Du vorhast.
    Magda

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