Vorbereitungen

Die Verabschiedungsbriefe sind raus. Es kamen kaum Rückfragen, was mich nicht weiter verwundert. Man wünschte mir viel Glück bei meinem Vorhaben, was immer es auch sei.

Die verschiedenen Rotweinreserven sind gemischt, von Malbec über Shiraz bis zu ein paar sorgfältig ausgewählten Piemontern, – es ist alles dabei. Für die beiden Monate ohne ‚r‘ nehme ich einige Flaschen meiner Lieblings – Rheingauer mit. Der Forellenteich hinter der Hütte wird im Sommer zwar nicht den Kühlschrank ersetzen, verhindert aber zumindest das Schlimmste. – Ich bin gespannt, was die Zollbeamten dazu sagen.

Hätte ich noch einmal die Chance, unternähme ich schon viel früher radikale Schritte. Ich würde in allen Bereichen ein ganz neues Leben anfangen. Alles auf Null. Nur so geht es. Nur auf diese Art ergibt sich eine ernstzunehmend neue Perspektive. Alte Konditionierungen laufen dann ins Leere. Es hat mir niemand gesagt, so wie es ohnehin durchgängig an Mentoren gefehlt hatte, was entscheidend war. Nur er oder sie hätte die Situation von außen betrachten und bewerten und mir wohlwollend zu entsprechenden Maßnahmen raten können. Im Auge des Hurricanes aber ist man orientierungslos.

Die alte Olympia ist überarbeitet, farbige Papierstapel sind aufgetürmt, Bleistifte sind gespitzt. Was genau die Stille mit mir machen wird, das kann ich nur erahnen. Sie wird wohl aus mir einen anderen Menschen machen. Einen Teil von sich. Das Körperliche wird nur noch am Rande eine Rolle spielen und hoffentlich vergesse ich nicht, zu essen. Ich werde euphorisch jeden neuen Tag erleben, – ich werde ihn mir er-leben mitten in der Natur.

Was wird mit denen passieren, die ich in mir trage? Sie hängen so penetrant im Netz meiner Gedanken fest. Ich will sie rausschütteln, aber sie haben sich dort verfangen mit ihren kurzen Widerhaken und je nachdem, wie sie sich gegeben haben, hängen sie eventuell sogar direkt neben dem Schmerzempfindungszentrum. Dort hat sich inzwischen eine richtige Kommune derer angesiedelt, die das wenig aggressive Auftreten meinerseits als einen Mangel an Selbstbestimmtheit missgedeutet haben und daraufhin wohl meinten, mich als Projektionsfläche für eine Auswahl ihrer Machenschaften nutzen zu können. Ein Mensch, der keine Angst hat, ist nicht aggressiv. Noch immer bin ich es selten.

Nur in Ausnahmesituationen, nämlich dann, wenn es sehr deutlich an mitmenschlicher Kultur fehlt. Oder wenn mir demonstrativ die Anerkennung verweigert wird. Das lasse ich nicht mehr zu. Aber vielleicht sollte ich mir für das Kommende eine Art Scheinaggressivität zulegen, – sozusagen als Anpassungsleistung an die weniger Sensiblen.

Und so verabschiede ich mich für eine Weile von der Zivilisation in dem Bewusstsein, schon das Meiste gesehen zu haben. Ein Grundton der Zufriedenheit schwingt unbedingt mit. Es gab schon immer bindungslose Zeiten in meinem Leben. Sie waren wertvoll. Nur der Umstand, ein komplettes Leben bereits hinter sich zu haben, ist neu. Die Reflexion darüber bringt eine ganz andere, eine schwere und nachdenkliche Qualität hinein in das Begreifen meines Selbst. Es hat Abschliffe und Abriebe gegeben. Was hat sich dadurch verändert an dem Klang? War die aufgewandte Energie von Bedeutung und wenn ja, für wen? Kann ich noch eine weitere, eine ganz andere Bedeutung geschehen lassen und wenn ja, für wen? Habe ich alles Gute in dem Maße geschaffen, in dem ich es mir unbewusst vorgenommen hatte, – nach den frühen Jahren an der Nordwand?

Die wenigen Utensilien, die ich in der Hütte brauche, kann ich auch in Halden noch besorgen. Daran sollte ich jetzt nicht denken, – Streichhölzer zum Beispiel oder das Mückennetz, das ich mir unbedingt über mein Bett hängen muss, einige Kerzen und Öl für die Lampen.

Auf der Fähre wird mir der Wind die Haare aus dem Gesicht blasen.

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