Pappa

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Für immer Dein Vorschoter

Im Norwegischen schreibt man Papa mit zwei P. Und ich finde, mit zwei P hört sich Papa auch viel mehr nach Pappa an. In dieser Betonung des P liegt eine andere Dimension, – die beiden Konsonanten zusammen bedeuten eine stärkere Erdung. Zumindest fühlt es sich für mich so an. Und das macht mich glücklich, Pappa.

In ein paar Tagen hast Du wieder einmal Geburtstag. Ich weiß nicht warum, aber schon seit Wochen bin ich sehr emotional und ich werde den Gedanken nicht los, dass ich noch so viel mit Dir erleben und Dir noch so viel zeigen möchte. Vielleicht ist es so, weil es mich mit tiefer Scham erfüllt, dass ich im letzten Jahr nicht bei Dir war, als es Dir so schlecht ging.

Aber nun haben wir uns ja wieder und ich plane nicht, das jemals wieder zu ändern. Würde es Dich sehr belasten, mir noch einmal ganz genau die Geschichten von früher zu erzählen, als Du klein warst und diese für uns heute unvorstellbaren Dinge um Dich herum passiert sind? Ich möchte sie gern alle notieren und später veröffentlichen.

Zum Beispiel die Geschichte mit der Leica, die Dein Opa vor den Amerikanern für Dich retten wollte und im Hof vergrub und dann, vor Angst, doch herausrückte? Es muss schrecklich gewesen sein, – sicher fürchterlich beängstigend.

Oder die Erlebnisse mit Benno, dem schlitzohrigen Dobermann, der dann von Bob abgelöst wurde, dem Anti-Typen eines Deutschen Schäferhundes, der keinem Einbrecher jemals etwas hätte zuleide tun können, schwanzwedelnderweise? Stell Dir vor, ich kann mich noch an ihn erinnern, – er lief neben mir her, hatte dunkles Fell und überragte mich. Aber ich hatte keine Angst, nicht die Spur, was wohl an Deiner sonoren Stimme lag. Du sagtest ihm, er solle mich beschützen. Ich bin heute noch froh, dass er das nicht musste…

 

Du weißt immer alles

Ich kann mich nicht daran erinnern, dass Du jemals das Wort gegen mich erhoben hättest, geschweige denn Deine Hand. Du hast sowieso, und wenigstens das habe ich Dir regelmäßig gesagt, die schönsten Hände der Welt, auch wenn sie inzwischen von Deinen vielen Stunden an Deck sonnengegerbt sind.

Ob mit Dir an Bord, wo Du sorgfältig Dein Tauwerk sortierst, oder immer, wenn ich in einem Deiner beiden museumsartigen Zimmer jeweils am Tisch Dir gegenüber sitze, bist Du hoch konzentriert, reparierst irgendetwas winzig Kleines und schraubst und klebst, schreibst oder setzt zusammen und ich starre jedes Mal wie gebannt auf Deine perfekt manikürten, gebräunten Hände, die mir, als ich ein kleines Mädchen war, soviel bedeutet haben. Es ist heute noch so.

Du hättest allerdings oft etwas beherzter zugreifen können, wenn wir nebeneinander hergegangen sind und ich nach oben zu Dir hoch sah, Deine Hand suchte und griff. Ich habe mir doch immer Mühe gegeben, möglichst alles richtig zu machen. Mir ist bewusst, dass Du ein sehr junger Vater warst und durch mich Deine Freiheit beschnitten sahst. Ihr wart beide zu jung und hattet den ‚Mehrwert‘ durch die Bereicherung eines Kindes noch nicht im Blick. Alles das weiß ich.

Ihr seid immernoch nicht ganz im Bilde darüber, wie stolz ich Euch unter gewissen anderen Umständen hätte machen können, aber nun habe ich mich damit arrangiert. Eure Generation war stumm, wenn es um Anerkennung und Emotionen ging. Kein Wunder, nach 45.

 

Professor Pappa

Von Dir habe ich diese bedingungslose Weltoffenheit. An jedem Sonntag Vormittag schaltetest Du den Kultursender ein und oft hörten wir dann beim Frühstück, das Du liebevoll vorbereitet hattest, Folklore der peruanischen oder bolivianischen Hochebenen. Du erzähltest mir dann von der Bevölkerung dort, welche Züge sie tragen und welche Gewänder. In meinen Augen wusstest Du und weißt heute noch alles. Wie früher Friedrich Wilhelm Heinrich Alexander von Humboldt. Warum bist Du nicht Professor für Angewandte Kulturwissenschaften oder warum hast Du keinen Lehrstuhl an der Hochschule für Nautik und ich könnte hier unzählige Themenfelder anführen? Ich habe Dir immer problemlos alles zugetraut. Alles.

Ach ja, Dein Vater und noch jemand, sie haben alles dafür getan, dass Du nicht… Are we History repeating?

 

Pläne

Mein Gott, es wäre doch so einfach gewesen, mit Dir überall hinzufliegen. Warum habe ich es nicht einfach gemacht? Vor allen Dingen nach Peru, in die Anden, – dahin, wohin wir uns an diesen für mich unvergesslichen frühen, sonntäglichen Morgenstunden überall hingeträumt haben. Oder nach Sibirien oder in die Mongolei. Heute lässt Dein Rücken diese Reisen nicht mehr zu.

Aber trotzdem habe ich Pläne. Es gibt Gegenden, die wird Dein Rücken zulassen müssen, ob er will oder nicht. Du wirst Menschen treffen, die Dich schon lange kennen lernen möchten und Du wirst begeistert sein. Ich freue mich darauf.

Ich vermisse die Zeiten, in denen Du so oft bei uns warst und auf Thure aufgepasst hast. Diese Gespräche mit Dir, besonders die politischen, so glasklar ist Dein Verstand, sind unerreicht. Und was haben wir gelacht. Du bist einzigartig und neben Thure der liebenswürdigste Mensch, den ich kenne. Du bist einfach so wahnsinnig witzig und schnell, trotz Deines fortgeschrittenen Alters. Niemand ist so witzig, wie Du!

Bitte bleib noch ein bisschen bei mir, Pappa.

Deine Klara

(Foto:pixabay)

Brief an R.

Mein lieber R.,

da Du zu den treuen Lesern, wenn auch nicht zu den Abonennten, meiner Aufsätze gehörst, schreibe ich heute einmal öffentlich über die Gründe, die mich zu meinem erneuten Rückzug aus unseren Korrespondenzen und der Reihe gelegentlicher Treffen bewogen haben.

Die Gründe sind identisch zu denen, die ich vor ein paar Jahren schon einmal spürte und anführte, – unsere vielen Erinnerungen aus  H.  in Ehren. Von Deiner Beharrlichkeit ließ ich mich jedoch eines Tages wieder umstimmen. Man ist schließlich nicht immer konsistent in seinem Tun. Selbst ich, der sich ’schon aus Prinzip‘ auf seine Fahnen geschrieben hat.

Meine Argumente sind, wie ich finde, stark und von Bedeutung. Nicht nur für Menschen, die schreiben und ohnehin die selbst gewählte Isolation Zusammenkünften aller Art vorziehen. Sucht man im Netz die genaue Bedeutung eines Wortes und landet man beim Duden, dann sieht man schnell, dass einige Begriffe das Label ’stark‘ verliehen bekommen haben. Meistens handelt es sich dabei um Verben. Bei mir sind es heute meine Prinzipien, die stark sind und mich einmal mehr leiten. Was sonst sollte mich dirigieren, nach dieser komplexen und teils verworrenen Polyphonie meiner eigenen Geschichte? Ich brauche mehr denn je Klarheit und Struktur.

Nein, lieber R., mit den von mir so oft thematisierten Narzissten hast Du wirklich rein gar nichts zu tun. Nur zufällig fiel die Veröffentlichung des letzten Textes in die Zeit meines Entschlusses, mich zurück zu ziehen. Narzissten können, aus Mangel an Emotionen, nicht kreativ sein. Und Du bist es. Du bist auch empathisch, was einem Narzissten nicht möglich ist (er spielt es anderen nur vor, – er hat es sich durch das Studium empathischer Persönlichkeiten angeeignet), wenn auch auf Deine trockene, naturwissenschaftliche Art. Ich muss gestehen, ich könnte Dir stundenlang zuhören, wenn Du von Deinen Arbeiten in Chemie, Deiner Promotion (konsequent immer nur auf meine hartnäckige Anfrage) erzählst und allgemein über neueste Forschungsergebnisse berichtest, besonders auch aus der Medizin.

Zurück zu meinen Prinzipien, die leider keine Ausnahmeregelungen zulassen.

Meine Prinzipien haben viel mit hohen moralischen Grundsätzen zu tun. Du weißt, ich bin Mitglied dieses Vereins, dessen Mitglieder Menschen sind, die alle, und das ist bei jedem einzelnen von uns gutachterlich, also wissenschaftlich abgesichert, über ein bestimmtes Merkmal verfügen. Früher habe ich immer gedacht, wenn man Mathematik nicht versteht, dann kann man unmöglich zu dieser Gruppe gehören. Heute weiß ich mehr. Man kann doch. Es gibt nur eben verschiedene Ausprägungen dieses Merkmals, heißt verschiedene Abstraktions- respektive Extrembereiche. Aber was ich eigentlich sagen wollte: egal in welche Richtung diese Ausprägung läuft, – wir haben fast alle die höchsten moralischen Ansprüche an andere und selbsterklärend auch an uns selbst. Gut, es gibt Ausnahmen, aber die fallen einmal mehr in den narzisstischen, ausbeuterischen Bereich. – Bei der Gelegenheit fällt mir übrigens schon wieder Kant ein.

Eines meiner (wenn nicht sogar das wichtigste) Prinzipien ist, anderen nichts anzutun, was ich nicht selbst, mir gegenüber, billigen würde. In aller Deutlichkeit: ich kann nicht eine sehr gute Freundin, eine Vertraute vielleicht sogar, eines Mannes sein, der seit Jahrzehnten höchst zufrieden mit einem Menschen verheiratet ist, der ihn liebt und für den er alles bedeutet. Das kann ich nicht, lieber R., und das würde ich selbst, wäre ich betroffen, niemals akzeptieren. Aus genau diesem Grund ist damals meine eigene ‚Verbindung‘ gescheitert, setzen wir einmal voraus, ich wurde ausschließlich über die Wahrheit in Kenntnis gesetzt …

Nein, es ist nicht fair. Das macht man nicht. Selbst wenn es eine gewisse Parität gäbe, Du weißt, was ich meine, – selbst dann kann ein Mann, kann eine Frau sich nicht so verhalten. Das geht schlicht zu weit.

Ein bisschen komme ich mir gerade vor, wie sowohl eine Sprach-, als auch Moralkonserve aus dem späten 19. Jahrhundert. Haben wir nicht alle Geheimnisse voreinander, könnte man anführen? Leben nicht Beziehungen sogar von einigen mysteriösen Kräften, die unausgesprochen unter dem Sichtbaren wabern und uns helfen, unsere Identität zu bewahren, könnte man sich fragen? Das geht erheblich in den Bereich der Psychologie und ebenfalls in Richtung Philosophie.

Gut, nehmen wir an, letzteres verhielte sich genau so, also wir alle brauchten verdeckte Einflüsse zur Inspiration, dann bitte, möge jeder Einzelne das für sich entscheiden.

Ich selbst brauche es nicht. Jedenfalls nicht auf diese Art. Ich habe das große Glück, jegliche Inspiration der Literatur und den Biographien Literaturschaffender entnehmen zu können. Ebenfalls aus dem gesellschaftlichen und politischen Geschehen, dringt es erst zu mir durch. Vielleicht bin ich selbst sogar ‚minder sozial‘. Wirklich! Ich gehe nicht gern unter Menschen. Dass es etwas mit schlechter Erfahrung zu tun hat, überlegst Du vielleicht jetzt (ich kann es förmlich hören), nein – das glaube ich nicht. Zumal ich eine ganz wunderbare Freundin hier in Frankfurt habe, Magda aus Budapest, die ich am Vortag der Buchmesse endlich einmal wieder hier in einem Frankfurter Café treffen und sprechen werde, dann Tania aus der Toscana und, Du kennst die Geschichten, meine seelische und geistige Entsprechung bei meinen Freunden in Norwegen finde. Im Zusammensein mit diesen Menschen sind sämtliche Erklärungen vollkommen überflüssig. Sie spiegeln mich zu einhundert Prozent und ich sie. Auch pflegen wir die gleichen hohen moralischen Werte.

Und ständen wir, Du und ich, uns tatsächlich in Parität gegenüber, also hätte ich seit Jahrzehnten diesen einen Menschen an meiner Seite, dem ich über alles vertraute und er mir, dann, mein lieber R., ständen oder säßen wir uns nicht allein gegenüber, sondern er wäre an meiner Seite. So denke ich. So bin ich eingestellt.

Zum Schluss lass mich kurz einen anderen Grund erwähnen, der mich mich immer wieder zurecht rütteln lässt, als vergäße ich ihn ständig und als müsse er an meine Vernunft appellieren, dieses eine große Ziel vor Augen zu haben und absolut keine Zeit im Überfluss. Leider.

Ich bin am besten, wenn ich keine Informationen von außen bekomme. Die Informationen, die ich für mein Schreiben benötige, recherchiere ich gezielt und konsequent nur die. Ich bin dann verkapselt und in diesem Zustand zutiefst glücklich. Nichts kommt an diese Sphären heran, nichts aus der jüngeren Vergangenheit. Diese vielen unangefragten, auf mich einströmenden Vorgänge, von denen ich Dir erzählt hatte, empfinde ich als dermaßen unangenehm und störend, ich kann es kaum ausdrücken. Vor allen Dingen diejenigen Bescheide, die auch nur im entferntesten etwas mit ‚Geld‘ zu tun haben, ich, als ausgewiesener Antimaterialist.

Was glaubst Du? Wie realistisch ist das ungestörte Schreiben in meinem Fall; meine Company fordert mich meistens nachts, Friedrich an der Fernakademie, Friedrich in enger Verbundenheit mit seiner E., was ausschließlich bei uns seine Realisierung erfährt, mein Haushalt, uninteressante, aber penetrante Papierberge etc. ? Na? Ist es nicht äußerst verständlich, dass ich, will ich ernsthaft mein falsches System verlassen, dazu jeden stillen Moment vehement verteidige? Ich muss alle Kraft zusammennehmen.

Ich will nicht larmoyant klingen. Nichts liegt mir ferner. Und was ich noch weniger will, sind regelmäßige Erinnerungen an früher. Das ist der unbewusste, aber vielleicht deshalb sogar existentiell ausschlaggebende Grund meines Verhaltens und meiner neuen, nachhaltigen Radikalität.

Mein lieber R., ich gebe gern das Kompliment zurück. Auch Du hast mich mit Deinen Naturbildern so oft inspiriert und mit Deinem Sachverstand und Deinen Perspektiven. Vielleicht wäre ich sogar ohne Dich gar nicht auf Norwegen gekommen? Nicht auszudenken.

Ich bin übrigens dabei, die Idee mit der Pseudonymisierung zu kippen. Was das heißt, muss ich Dir nicht erklären.

Pass bitte weiterhin gut auf Dich und Deine geliebten Menschen auf. Du bist ein wahrer und seltener Glückspilz. Hättest Du Erfahrungen gemacht, die meinen ähnlich wären, Du würdest Dein perfektes Leben jeden Tag anbeten, vor Dankbarkeit und Demut. Ich erlaube mir diese leicht pathetische Bemerkung genauso abschließend, wie mahnend …

Deine C.